![]() |
Frauen |
Eine zierliche alte Frau tippelt mit hurtigen Schritten in
einem knőchellangen, braunen Mantel űber den Bűrgersteig. Ihr Kopf ist umrahmt von
einem weißen Kopftuch, kein einziges Haar lugt hervor. Sie läuft gebeugt, ein
von ihre Schulter sinkt vor. Es ist möglich, dass sie Osteoporose hat. Sie ist
rund halb neun erschienen, ich habe sie schon mehrmals zu dieser Zeit am
Frankfurter Tor gesehen. Vielleicht kauft sie ein, kann aber auch sein, dass
sie den Laden der Familie irgendwo in dieser Umgebung öffnet. Sie geht eilig,
den Blick auf den Boden geheftet, dann verschwindet sie in einer Nebenstrasse. Eine muslime Frau in Berlin ist ein gewohnter
Anblick. Sie scheint müde von der Arbeit. Was können wir wissen von ihr? Sie ist
noch in der Türkei geboren. Ihr Mann kam als Gastarbeiter nach Deutschland, sie
ging mit ihm. Sie hat Kinder geboren und erzogen, hat den Haushalt versorgt,
sie hat hinter der Theke oder zwischen den
Tőpfen gestanden, sie hat schwere Taschen, Kisten, die Last des Lebens
geschleppt. Sie hat die religiősen Gesetze eingehalten, war ihrem Mann ergeben.
Man kann ihre Augen nicht sehen, aber ich stelle mir vor, das sie traurig sind.
Wenn sie nach Hause kommt, sei es am Morgen oder Abend, zieht sie ihre steifen
Schuhe aus hat ihre nockende Füße in und schlüpft in weiche Schlappen. Ihre
Zehen liegen zufriedend in diesem warmen Nest. Sie kocht Wasser für Kaffee ,
sie setzt sich eine Minute, dann, wenn der Kessel pfeift und zischend das Zeichen
gibt, dass es Zeit ist, steht sie seufzend
wieder auf. Sie hat den billigen, gemahlenen Kaffee abgebrüht, nimmt ihn in das
Zimmer für den Alten mit. Sie sitzen noch ein bischen am Tisch, vielleicht reden sie űber die Kinder oder die
Enkelkinder, aber es ist möglich, dass sie nur schweigen. Keiner von ihnen spricht aus, was sie seit
einiger Zeit beschäftigt: Dass sie
endlich nach Hause zurück kehren sollten.
In der Straßenbahn sitzt mir eine Frau gegenűber, ihr Alter
ist schwer zu schätzen, ihr Sohn ist ca. 5 Jahre alt. Das Kind ist lebendig,
aufgeweckt, selbstsicher. Sie reden deutsch miteinander. Die Frau trägt eine
schwarze Hose, weiße Sportschuhe und einen dunkelen Kordmantel. Ihr Kopftuch
ist blau. Warscheinlich ist sie schon hier geboren worden. Sie kőnnte die
Tochter der alten Frau im braunen Mantel sein. In dem Berliner Bezirk, wo sie
vieleicht aufgewachsen ist, sprechen viele Menschen gebrochenes Deutsch.
Zuhause und in der Schule haben sie immer
tűrkisch miteinander gesprochen. Das Kopftuch war ihr nicht fremd, die
Nachbarstochter, die Cousine, ihre Freundin trugen es wie sie, die Mutter auch,
die ein Vorbild dafűr geben wollte, was eine gute muslimische Frau ist. Nun ist
die Frau selbst verheiratet, ihr Mann bestimmt fűr die ganze Familie und sie wiedersetzt
sich nicht. Sie hat sich gefreut, als sie einen Sohn zur Welt brachte, weil sie
dafűr Bestätigung bekam. Jetzt hat sie den Jungen aus der Kita abgeholt und sie fahren zusammen nach Hause. Der Kleine
macht keine Fehler mehr in der Deklination. Ein Teil der Verwandtschaft hat das
Kind noch nie gesehen. Eine Reise in die Türkei, wo die Zurűckgebliebenen leben,
ist recht teuer fűr sie drei zusammen. Und Zeit haben sie auch nicht so richtig,
sie arbeiten viel, um sich das Leben hier zu leisten, das sie sich erträumen.
Kichernde Teenager in knappen Jeans und kurzen Tops. Männer lassen
ihre Blicke űber ihre jungen Kőrper streifen. Die in der Mitte erklärt mit breitem Grinsen
irgendetwas wichtiges, auch ihre Zahnklammer stőrt sie nicht beim Schnattern. Ihr
Mund steht nicht still, andauernd schűtten sich die Mädchen aus vor Lachen. Während
sie eine neue Geschichte zum Besten gibt, geht ihre rechte Hand instinktiv zum
Kopftuch, sie richtet es, so dass es nicht vollends von ihrem Kopf rutscht. Ihr
Top ist nicht bauchfrei, aber einzig die Kleidung unterscheidet sie von den
anderen. Sie scheunghaften treiben mit der Menge und ich kann nur spekulieren,
welche Kraft dieses Mädchen bewegt, jeden Morgen, in dem letzten Moment bevor
sie aus dem Haus tritt, ihre schönen Haare zu verbergen. Wenn sie dann nach der
Schule, in ihrer blühenden Jungend wieder űber die Schwelle tritt, stelle ich
mir vor, dass sie mit einer schnellen Bewegung das Kopftuch herunter reißt, ihre
lange schwarzen Locken schűttelt, eine CD einlegt, das Abendessen aufwärmt,
sich auf das Bett kauert und zufrieden seufzt: ich bin zu Hause.
Foto: dw.de

Nincsenek megjegyzések:
Megjegyzés küldése